Von einem Extrem ins Nächste

Diesmal hats ziemlich lange gedauert, aber da man während des Karnevals in Rurre lieber zu Hause bleibt – es sei denn, man will sich in die endlosen Schlachten mit Wasser- und Farbbomben stürzen – bleibt Zeit für einen ersten Bericht.

Gestartet sind wir ja mal ganz anders als sonst – 7 Tage USA. Beladen mit Klischees und Vorurteilen über diese „Amis“ landeten wir bei Dauerregen in Miami und wenig später mitten in der Rushhour auf achtspurigen Highways über-, unter- und nebeneinander. Ich hätte mir gerne die Augen zu gehalten und hab auf dem Beifahrersitz wesentlich mehr geschwitzt als Torte am Steuer ;0)) Da wir nicht so ganz großstadttauglich sind, führte der erste Weg am Morgen raus aus dem Häusermeer Richtung Everglades Nationalpark. Erstmal rantasten an den „american way of life“.  Ein Teil der Wohnmobile und Trailer, welche uns auf dem Weg zum Nationalpark überholten, machte uns schon Angst. Aber tatsächlich gabs am Ende sogar eine Wiese mit ein paar Zelten auf dem Campingplatz. Gut, alle größer als unser Bergzelt, aber auch keine Faltgaragen. Und Moskitos, die gabs auf dem Platz ohne Ende. Im NP-Infocenter haben wir dann tatsächlich ein „Moskitometer“ entdeckt. Immerhin stand es erst bei der Vorstufe zu „horrible“. An unserem Plan, wenigstens eine Nacht auf einer dieser Plattformen mitten im Nirgendwo im Wasser über Alligatoren und Delfinen zu übernachten, wollten wir trotzdem festhalten. Wir hatten da mal ein Foto gesehen…. Also erstmal amerikanisches Mückentötolin mit viel DEET kaufen und dann Kajaks mieten. Der Wasserweg zur Plattform soll mit nummerierten Plastikrohren markiert sein – und bisweilen so eng, dass man sein Doppelpaddel am liebsten zerhacken würde. Nach 3 Stunden Paddelei durch einen Fitz von schmalen kurvigen Kanälchen und Seen zwischen Mangroven, stand sie tatsächlich vor uns, mitten im Wasser - „Hells Bay“. Festen Boden hatten wir das letzte Mal an der Einsatzstelle unter den Füßen. Da steht wirklich mitten im Nirgendwo ein Metallsteg für unser Zelt …. mit einer sehr abenteuerlichen Abenteuertoilette. Wahnsinn! Leider war der Wettergott den Rest des Tages nicht ganz so gütig – Regen und strammer Wind haben uns recht früh ins Zelt getrieben. Aber ein Regenbogen, während der 20 Minuten Abendsonne, hat uns versöhnt. Nur gewittern sollte es lieber nicht. … Am nächsten Morgen dann einer dieser magischen Momente - ein rosa Delphin spielt direkt neben uns beim „Guten Morgen Kaffee“! Riesenalligatoren oder gar Seekühe konnten wir allerdings statt in der Wildnis nur am Hafen beobachten. Dafür haben sie sich dort regelrecht feiern lassen. Leider hatte es Torte in der Nacht endgültig erwischt – Fieber mit Schüttelfrost – so dass er die restlichen Tage hauptsächlich indoor verbringen musste. Miami Beach hab ich also fast ausschließlich alleine erkunden müssen. Dort waren sie dann natürlich alle versammelt, die Klischees – Poser, Pumper, schräge Vögel, Protzerkisten, monströse Goldketten. Einfach eine Wundertüte an Menschen und Zubehör. Und während der ganzen 7 Tage fiel vor allem eins auf: Die Amerikaner sind unheimlich freundlich und hilfsbereit. Unsere Welt wars trotzdem nicht so ganz. Aber Amerika ist ja groß und zu sehen, gibt’s ne Menge in diesen unendlichen Landschaften.

Von Miami gings mit Zwischenstopp in Bogota nach La Paz. 2.00 Uhr nachts ist nicht die beste Zeit zum Landen. Aber dafür breitet sich bei der Fahrt ins Zentrum das ganze Lichtermeer der Stadt vor einem im Canyon aus, jedes Mal ein Gänsehaut-Moment. La Paz und Miami – zwei völlig verschiedene Welten. Zunächst vermissen wir allerdings die Super Size Betten mit ihren weichen Kissen und Decken. Warum hat sich unsere Art der Bettwäsche eigentlich in Südamerika nie durchgesetzt? Nie bleibt das Zudeck-Bettlaken dort, wo es sein soll und man erwacht in einem Knäul aus Laken und Wolldecken. Nun muss Torte nur noch ganz gesund werden und wir müssen uns an die Höhe gewöhnen. Schließlich haben wir „Hohes“ vor. Der Sieben -tage Treck durch die Apolabamba Cordillera führt über mehrere 5000m Pässe oder kurz darunter. Man muss alles mitnehmen. Erste Akklimatisationstour wird der Takesitrail, ein alter Handeslweg zwischen dem Altiplano und dem Tiefland. Am ersten Tag geht’s hoch auf 4700m und dann 2 Tage runter bis auf 1700m, vom kargen Hochgebirge und seinen Schneegipfeln in die dampfenden Bergurwälder der Yungas. Beim ersten Versuch vor 2 Jahren mussten wir am zweiten Tag umkehren, da alle Brücken weggerissen worden waren. Also die ganzen Höhenmeter wieder rauf und runter. Diesmal haben wir so viel wie möglich Leute vorher gefragt, die es wissen könnten…. Immerhin, beim Start regnet es nicht. Auf der Passhöhe verweilen wir lieber nur kurz, da um die Gipfel gegenüber Donner krachen und Blitze zucken. Da wird man gleich schneller. 10 Minuten später steigen wir in die Regenhosen und streifen die Ponchos über. Jetzt rumort das Gewitter unter uns. Irgendwann laufen wir in dichten Wolken. Aber, genau, als wir den Weiler Takesi auf 3800m am frühen Nachmittag erreichen, reißt der Himmel auf und die Sonne kommt raus. Eine Hand voll Steinhütten duckt sich zwischen Felsen und Trockensteinmauern. Ein paar erste Bäume auf den Weiden machen die Landschaft fast lieblich. Rundherum reichen schroffe Felshänge mit unzähligen Wasserfällen bis in den Himmel. Ein paar bunte Flecken bewegen sich zwischen den Lamas und Alpakas. Im Gegensatz zum letzten Mal sind also sogar ein paar Bewohner da. Die fragen wir als erstes nach den Brücken und halten kurz die Luft an – die Brücke unterhalb ist immer noch nicht wieder hergestellt! Bitte nicht! Aber es gibt direkt hier an der Zeltwiese einen wackeligen Steg als Alternative, puhh. Erstmal ein Schälchen Heesen und Zelt aufbauen. Es ist gerade Nachwuchszeit. Unsere eingegrenzte Zeltwiese teilen wir uns deshalb mit Lamamüttern und ihren frisch geschlüpften Jungen. Manche sind noch keine Woche alt. Unsere Herbergsfamilie bricht am Nachmittag zu ihrem Haus auf der anderen Seite des Passes auf – ab morgen ist Schule. Also verbringen wir den Rest des Tages mutterseelenallein inmitten tollender voll süüüüüüßer Lamababys. Und keine der Mütter spuckt uns an, obwohl Torte, der alte Tu-nicht-gut, das Stänkern nicht lassen kann. Auch Pferde und Esel haben gerade Junge, die auf noch wackeligen Beinen über die Wiesen staksen. Der Tag beginnt mit Kaffee, flauschigen Lamas und Sonne. Über einen abenteuerlichen Steg wechseln wir auf die andere Uferseite und dann verbringen wir den kompletten Tag in mal mehr oder weniger dichten Wolken. Die Natur schein förmlich zu explodieren – erst Büsche, dann Bergurwald und bunte Blumen und Blüten. Unzählige Seitenflüsse und Wasserfälle lassen den Fluss stetig anschwellen. Schade, dass wir kaum weiter sehen können als ein paar Meter. Auch das Orientieren wäre dann bissl leichter. Wir müssen zwar runter, aber es geht längst nicht nur bergab. Irgendwann haben wir die Wolken über uns gelassen. Noch 2 Brücken und wir knacken die 2000m Grenze. Aber da ist keine Brücke! Wir suchen oberhalb und unterhalb – nix! Nicht mal Reste. Warten bis weniger Wasser im Fluß ist, ist keine Option. Bleibt nur Augen auf und durch. Treckingschuhe bleiben an. Klamotten sind eh nass von Schweiß und Nebel. Aber der Rucksack sollte trocken bleiben. Zusammen rutschen wir vorsichtig vom Felsen ins Wasser. Die Strömung zerrt an den Beinen und reicht bis zu den Oberschenkeln. Drei kurze, aber tiefe Abschnitte zwischen großen runden Flusssteinen, dreimal mit aller Macht gegen die Strömung stemmen – geschafft! Zurück gehen wäre nie eine Alternative gewesen!

Die nächste Brücke existiert noch. Aber leider kein alter Inkaweg mehr – die uralten Steine mussten einem Beton Kanal weichen. Fußlahm schlagen wir unser Zelt über den zu Tal stürzenden Wassermassen auf. Weiter unten heißt es statt Inkastraße dann Minenstraße. Die Piste führt durch grauenhaft verstümmelte Natur. Abraumhalden säumen die Eingänge der Minen. Überall liegen Schrott und Müll, der Lärm der Maschinen übertönt alles. Das verstörende Ende einer Trekkingtour.

Wie dem Takesitrail erging und ergeht es vielen Treckingrouten nicht nur in Bolivien. Wo früher Inkastraßen oder alte Handelspfade verliefen, werden heute Straßen vorangetrieben. Einige Wege, wie den Goldtrail gibt’s nicht mehr. Andere gehen nur teilweise verloren. Aber für wen sollen die Wege erhalten werden? Für die paar ausländischen Rucksackreisenden? Von Urlaubsreisen und Freizeitabenteuern in der Natur sind Bolivianer immer noch Lichtjahre entfernt. Was sie brauchen, ist Infrastruktur und bezahlte Arbeit. Auf den Ökotourismus ist kein Verlass mehr, dann eben Minen. Die sind wenigstens immer da. Leider geht’s dem Apolabambatrail, unserem eigentlichen Ziel, nicht besser. Ein Großteil der 70 km ist inzwischen als Fahrweg ausgebaut – Zufahrtswege zu Minen. Weshalb wir uns schließlich gegen die Cordillera Apolabamba für eine Tour um Sorata zum Illaimpu entscheiden. Sorata, das frühere Bergsteiger und Trecking Mekka Boliviens, wurde vergessen. Wir sind die einzigen Backpacker. Keine der Agenturen existiert mehr. Zufällig stöbern wir einen ehemaligen Guide auf, der uns noch ein paar aktuellere Tipps zur Route gibt. Wir steigen auf zur Laguna Chillata. Über uns thronen die Eisriesen Ancohuma und Illiampu. Zumindest tun sie das laut Karte. Im Moment sieht man nix und nach einer unruhigen Nacht mit Gewitter und Kübelregen auf 4200m steigen wir frustriert ab, begraben unsere Treckingträume endgültig und fliehen an den Titicacasee auf die Sonneninsel. Spiegelglatter See, blauer Himmel, keine Autos, keine Motorräder, keine Straßen und Minen, dafür Vino Tinto im Abendrot – herrlich.

Natürlich macht das schöne Wetter gleich wieder übermütig. Wenn wir schon nicht wandern können, könnten wir doch wenigstens noch einen Gibbel machen. Auf dem Altiplano ist das Wetter stabiler als an den Gebirgszügen, welche nach Norden steil Richtung Amazonien abfallen. Gerade um den Salar de Uyuni hatten wir fast immer Wetterglück. Torte hat schließlich einen schönen sechstausender Vulkan auf der Grenze zu Chile am Sajama NP ausgewählt. Der Acotango solls werden. Man kommt gut hin, Schnee gibt’s nur auf den letzten Metern, keine Kletterpassagen – „nur“ steigen. Eigentlich hätten wirs besser wissen müssen, wenn schon auf der Hinfahrt der Himmel überm Altiplano wolkenverhangen ist. Aber dann kam ja die Sonne und es hatte ja schon die ganzen letzten Tage geregnet, also hört es ja jetzt auf! Oder eben nicht. Als echter früher Vogel hab ichs ja schon satt, wenn ich um Mitternacht aufstehen muss, um im Stockdunkeln auf einen Berg zu strapsen. Ok, ich verstehe, der Wind ist dann sanfter und der Schnee noch fest und Sonnenaufgang und so was… Angespannt packen wir unsere Ausrüstung in den Jeep. Helme, Gurte, Steigeisen, Eisaxt, wetterdichte Klamotten. Es ist bitterkalt, klar und windstill, immerhin. Ich machs mal kurz. Unsere Anfahrt endete früher als gedacht im Tiefschnee. Unser Guide Paulino (natürlich gehen wir mit ortskundigem Guide) ist ebenfalls überrascht und erschrocken, dass doch so  viel Schnee liegt. Es war so anstrengend wie lange nix mehr. Dann geht endlich die sch… Sonne auf, aber man sieht trotzdem nix, weil es sich sofort zuzieht. Es ist immer noch bitterkalt und der Wind pfeift einen fast vom Grat, sandstrahlt das Gesicht mit Eiskristallen und als wir endlich oben sind, fühlen wir uns wie Hillary. Es gibt es doch, das „Gibbelglück“. Als das Keuchen leiser wird, können wir sogar lachen und blödeln. Völlig fertig, aber wir müssen ja auch wieder runter. Leider bleibt die sch… Wolkendecke dicht bis wir unten sind. Nicht gleich morgen, aber irgendwann würde ichs trotzdem wieder tun!

Jetzt geht’s erstmal nach Rurre – die „Arbeit“ ruft! Wir müssen uns beeilen. Seit 2 Wochen gibt es heftige Straßenblockaden im Land und immer mehr Gebiete sind abgeriegelt. Bereits jetzt gibt’s selbst in la Paz kaum noch Benzin. Es fahren bedeutend weniger Öffis als sonst. Die Straße ins Tiefland ist auch dicht also fliegen wir lieber schnell, bevor der Flughafen blockiert wird und wir fest sitzen…. Todo es possibile – nada es seguro en bolivia!

Saludos Torsten y Ilka!