Januar 2005: Madidipark

Am Elften Tag unsere "Expedition" sind wir wieder in der so genannten Nationalparkhütte in Alto Madidi. Alto Madidi ist aber nur ein imaginärer Punkt auf der Karte, der ein riesiges Stück Land im Quellgebiet des Madidiflusses beschreibt. Nach unseren Schätzungen sind es von hier aus ca. 180 Kilometer zurück in die Zivilisation. Viel ist hier in den letzten Jahren nicht passiert. Im Gegenteil die ehemalige Nationalparkhütte gammelt und schimmelt vor sich hin. Irgendwann wird diese Bruchbude einfach in sich zusammenfallen. Die Parkverwaltung hat sich hier schon lange nicht mehr blicken lassen. Trotzdem bedeutet diese Hütte für uns einen regensicheren Nachtplatz zu haben, nicht jedes Mal klatschnass zu werden, wenn es wieder wie aus Eimern anfängt zu regnen. Sogar zwei Stühle wacklige gibt es, welch ein Luxus!

 

Als Ilka ihre Sachen ordnet, entdecken wir einen herrlichen Schimmelpilz in ihren Wanderschuhen, von unseren Rucksäcken ganz zu schweigen.

 

Gemeinsam beschließen wir einen Ruhetag einzulegen, um vor allem unsere Füße zu pflegen. Wie jedes Mal am Madidi sind unsere Beine gequollen und von den Flussmineralien zerfressen. Tausende Sandfliegen, Bienen und Wespen haben ihr übriges getan. Außerdem gibt uns der Ruhetag die Möglichkeit über die vergangenen elf Tage nachzudenken.

 

Aber langsam relativiert sich einiges, natürlich nicht alles. Viele Tiere und Pflanzen kennen wir schon, wissen, wer in der Nacht welche Geräusche von sich gibt, was harmlos und was gefährlich ist. Nur ein einziges Mal ist uns etwas mulmig geworden. Wieder einmal hatten wir die Gewalt der Urwaldflüsse unterschätzt.

 

Am 16.01. hatten wir unser Camp am Oberlauf des Madidi aufgeschlagen. Am Abend gab es lecker Fisch. Fünf verschiedene Arten! - alle über 60 cm lang - sind uns in kurzer Zeit an den Hacken gegangen. Sogar einen großen Manta haben wir aus dem trüben Wasser gezogen. Sein Stachel am Körperende sieht wirklich furcht erregend aus.

 

Mit Einbruch der Dunkelheit rennt ein Tapir fast durch unser Zelt. Hier sagt man diesen Tieren die gleiche Mentalität nach wie dem Esel. Sture Viecher eben. Im Lichtkegel unser Lampen, nur wenige Meter von unserem Camp, leuchten wie fast jeden Abend die Augen der Krokodile.

 

ENDLICH!!! Wir haben die lang ersehnte heile Welt am Rande des Amazonasbeckens erreicht.

Aber es sollte natürlich ganz anders kommen.

 

Pünktlich um Mitternacht setzt ein derart starker Regen ein, dass wir uns im Zelt nur brüllend verständigen können. Mit ungeheurer Gewalt drischt der Regen auf unser ohnehin schon stark lädiertes Zelt ein (Tage zuvor hatten Blattschneideameisen meinen Poncho und Teile des Zeltes in einen Schweizer Käse verwandelt - Gazefenster vom Zelt als Lüftungsgitter für den Ameisenbau, mal ein ganz neuer Aspekt von Tierliebe).

 

Der Regen hört auch nach den zwei obligatorischen Regenzeitstunden nicht auf. 6:00 Uhr morgens wage ich einen Blick auf den Fluss. Drei Höhenmeter unter uns, erkennt man im ersten Tageslicht das braune Wasser des Madidi. "Alles im grünen Bereich", denke ich mir so und krieche wieder zu Ilka ins Zelt.

 

7:00 Uhr dann plötzlich Chaos!!! Draußen ein Wahnsinns Lärm. Die Luft vibriert. Von einer Sekunde auf die andere wälzt sich eine Brühe aus Schlamm, Geröll und Bäumen nur wenige Meter an unserem Zelt vorbei. Innerhalb von Minuten steigt der Fluss mehrere Meter. Inzwischen ist er nur noch Zentimeter von unserem Zelt entfernt!

 

In panischer Angst werfen wir unsere Sachen in unsere Rucksäcke, flüchten ein paar Meter in den Urwald hinein. Aber auch hier sind wir nur für Minuten sicher. Das Wasser steigt und steigt. Immer weiter fliehen wir Hals über Kopf in den Dschungel hinein. Es hilft nichts! Stellenweise stehen wir schon hüfttief im in der braunen Urwaldbrühe. Die Strömung zerrt an unseren Beinen. Endlich finden wir einen etwas erhöht liegenden Punkt. Wir können unsere Rucksäcke auf den durchweichten Urwaldboden stellen. Mit Mexicano schlage ich einen Weg weiter in den Urwald hinein, aber nach nur wenigen Metern ist auch hier Schluss. Wir sind vom Wasser eingeschlossen. Zusammengekauert sitzen wir im Regen, rauchen ein paar trocken geblieben Zigaretten und warten auf unserer kleinen Insel im Fluss. Minuten werden zu Stunden, Stunden zu Tagen. Die Zeit scheint stillzustehen. Der Fluss um uns herum reist alles mit sich fort.

 

Es ist wie immer im Urwald. Es gibt für kurze Zeit immer von allem zuviel, egal ob es der Regen, die Sonne, die Insekten oder irgendetwas anderes ist. Nie gibt es Tage, an denen man von allem etwas bekommen kann.

 

11:00 Uhr beginnt das Wasser langsam zu sinken. Es regnet noch immer wie aus Eimern. Wir sind verdreckt vom Schlamm und durchgeweicht bis auf die Haut. Alles ist in diesem Moment unwichtig - WIR LEBEN!!!

 

Notdürftig richten wir uns für die Nacht ein. Lange dauert es, bis wir ein wärmendes Feuer entzünden können. Das laute und lange Krachen, was von umstürzenden Urwaldriesen verursacht wird fährt uns bis ins Mark. In der Ferne ist das Fauchen eines Jaguars zu hören...

 

Am nächsten Morgen ist der Madidi wieder in sein Flussbett zurückgekehrt.

An der Stelle, wo sich unser erstes Camp am Ufer befand, ist nur noch ein großes Loch. Außerdem stellen wir bei der Überprüfung unserer Lebensmittelvorräte fest, dass die Hälfte fehlt. Einige Beutel konnten wir nicht vor den Wassermassen retten. Falls wir kein Angelglück haben, gibt es ab heute nur noch einen Teller Suppe pro Tag und Person...

Natürlich gibt es noch unendlich viel mehr zu berichten.

Einige Floßkenterungen galt es zu bestehen. Außerdem glauben wir schon lange nicht mehr, dass die Schlangen, wenn sie unsere Schritte, vernehmen sich ins Unterholz verkriechen. Auch diesmal haben sich die Korallenschlangen in unserer Nähe sehr wohl gefühlt. Allerdings haben die uns nicht gebissen. Anders als die Ameise 24, die so heißt weil sie 24 Stunden Fieber und starke Schmerzen verursacht. Gott sei Dank war es nur eine, die Ilka am Arm erwischt hat. Drei Stiche zur gleichen Zeit können lebensgefährlich sein...

 

31. Januar 2005

 

Langsam, aber sicher nehmen unsere Gedanken ganz konkrete Formen an. Die Verteilung unserer in Deutschland entworfenen Plakate läuft besser als gedacht. So konnten wir schon in La Paz mit Hilfe unseres Freundes Waldo Valer einige Touristenagenturen besuchen, mit ihnen über unser Ansinnen reden und unser Vorhaben erklären. Hier im tropischen Tiefland in Rurrenabque funktioniert es noch besser. In fast allen ansässigen Agenturen hängt unser Plakat. Auch die Menschen in den kleinen Wäschereien, in den Kneipen und Cafés freuen sich darüber, dass die Ausländer aus Deutschland ein echtes Interesse am Schutz ihrer Natur haben.

 

Aber das Verteilen von Plakaten ist nicht unser einziges Ziel. Wir wollen konkrete Hilfe in Bezug auf den in der Welt wohl einmaligen Nationalpark Madidi anstreben. Größtes und erstes Anliegen ist es, den Menschen, die in den Komunidades im Park und in den riesigen Pufferzonen um den Park leben, eine Alternative zum Raubbau an der Natur zu bieten.

 

Auf unserer diesjährigen "Expedition" in das Quellgebiet des Madidi konnten wir uns wiederholt ein Bild vom illegalen Holzeinschlag machen. Dabei verdient der Campesino, der schlussendlich den Mahagonibaum umsägt, zuviel zum Sterben und zu wenig zum Leben. Das große Geld machen die wenigen Zwischenhändler, die nicht zuletzt für die weltweit operierenden Holzfirmen arbeiten.

 

Eine Alternative zur Wilderei und zum Holzeinschlag kann mit Sicherheit der so genannte Ökotourismus sein. Dass solche Projekte funktionieren, zeigt der Manunationalpark in Peru, das Gegenstück zum Madidinationalpark auf peruanischer Seite. Leider kann bei solchen Projekten nur einem Bruchteil der hier lebenden Bevölkerung geholfen werden. Andere Projekte, die sich auf die Menschen beziehen, die nicht mittel- oder unmittelbar vom Tourismus leben, bekommen kaum Unterstützung. Sie sind den großen Organisationen zu klein. Wir haben mit Hilfe von Staphan Rybak (Mitarbeiter des Deutschen Entwicklungsdienstes) und Carlos Espinosa (Ortskundiger Berater für Entwicklungshilfe) einen Fond für die:

 

Finanzierung und Unterstützung von Kleinproduzentengruppen in den Pufferzonen der Naturschutzgebiete zur Schaffung von Alternativen zum traditionellen Landbau (sprich Ertragssteigerung durch Raubbau), zum Holzeinschlag und zur Wilderei ins Leben gerufen. Über diesen Fond wird bereits ein erstes Projekt in Villa Carmen (Komunidad 25 Kilometer von Rurrenabaque entfernt) von uns finanziell unterstützt. In den nächsten Wochen wird eine detaillierte Beschreibung des Projektes auf unserer Website www.regenzeit.net Rubrik "Hilfsprojekt" zur Information bereitstehen.

 

Wir, und vor allem die Leute vor Ort, bedanken sich herzlichst bei allen, die uns bisher unterstützt haben.
Grüße von Ilka & Torsten aus Bolivien

 

Abschied

 

Unsere letzten Tage in Rurre sind geprägt von einem Wechselbad der Gefühle. Auf der einen Seite ist da die große Fiesta. Unglaublich viele Menschen aus den umliegenden Dörfern und Comunidades sind zum Jahrestag nach Rurre gekommen. Das sonst so verschlafene Nest quillt geradezu über.

 

Auf der Plazza hat jeder Straßenstand seine eigene Live-Combo angeheuert. Jeder versucht natürlich durch riesige Boxen seinen unmittelbaren Nachbarn in der Lautstärke zu überbieten. Und das drei Tage, 24 Stunden lang!

 

Unsere Unterkunft liegt nur ein paar Minuten vom bunten Treiben entfernt. An Schlaf ist nur mit Ohrenstöpseln zu denken.

Viele die zur Fiesta kommen, haben ihr wirklich einziges und letztes Hemd gewaschen und gebügelt.

An allen Ecken und Enden der Stadt wird versucht etwas Geld zu verdienen. Da gibt es von Hand betriebene Kinderkarussells, unzählige verschiedene Arten von Glücksspielen, Eisverkäufern (die Kugel für 2.5 Cent), irgendwelche Redner und andere Gaukler. Höhepunkt am ersten Tag ist aber das Grosse Umzugsspektakel. Gruppen aus den Umliegenden Dörfern ziehen mit viel Tam Tam um die Häuser. Alte Indiotrachten werden getragen, traditionelle Tänze werden aufgeführt.

 

Die Tänzer und Musiker sind bei den tropischen Temperaturen natürlich nach kurzer Zeit total durchgeschwitzt. Immer wieder bekommen sie von den Zuschauern Büchsenbier gereicht. Am Abend gegen Ende des Festumzuges sind dann die Meisten von ihnen so besoffen, dass selbst die größeren Musikkapellen mit 20-25 Leuten, nur noch mit drei vier Leuten die sich geradeso auf den Beinen halten können, vertreten sind.

 

20:00 Uhr folgt dann der Autokorso. Der im gesamten Gesehen nicht so spektakulär war, wie der Motorradkorso, der am Morgen stattgefundenen hatte.

Das lag ganz einfach daran, dass es 500 Mopeds, aber nur 20 Autos in der Stadt gibt.

 

Interessant war trotzdem der Jeep, der von den Touristenführen geschmückt worden ist. Aus Pappmasche haben die Guides ein riesiges Krokodil gebaut und dem Jeep aufs Dach gebunden. Leider haben sie die Höhe ihres Gefährtes nicht mit der hiesigen Stromleitungen übereingebracht. An jeder Kreuzung entstand deshalb ein großes Theater. Die Musikbudenbesitzer fürchteten um ihren Strom, die Omas aus den Läden fuchtelten mit den Fäusten. Mithilfe von langen Astgabeln hat man aber auch dieses Problem südamerikanisch gelöst und die Stromleitungen einfach angehoben.

 

Auch Mexicano ist mit den Guides mitgelaufen. Mit gepacktem Rucksack auf dem Rücken und meinem Kompass um den Hals, ist er, genau wie seine Frau voller Stolz neben dem Krokodiljeep hergelaufen.

 

Im Laufe des Abends sind uns dann noch die vielen Bekannten über den Weg gelaufen. Gänsehaut bekamen wir bei der Begegnung mit den Leuten der Comunidad - unserer Comunidad "Villa Carmen"!

 

Als wir ihnen versichern, dass mit der Einrichtung unseres Fonds alles klar geht, fallen sie uns voller Dankbarkeit um den Hals!

Aufgewühlt von den Ereignissen der vorangegangenen Tage finden wir in unserer letzten Nacht in Rurrenabaque lange keinen Schlaf.

 

Am nächsten Morgen sind wir gegen 9:00 Uhr am Abfahrtspunkt für die Kleinbusse nach San Borja. Mexicano und seine Frau Amalia sind zum Abschied gekommen. Sie laden uns für das nächste Jahr ein, bei ihnen im Haus zu wohnen. Unsere Kinder sollen wir auch gleich mitbringen.

Soviel Herzlichkeit macht traurig, zumal Rurre für uns zur zweiten Heimat geworden ist.

 

Wieder unterwegs

 

Wir entscheiden uns, auf dem Landweg nach Trinidad zu reisen. Insgesamt sind das ca. 400 Kilometer. Wir wollen mit Kleinbussen von Dorf zu Dorf fahren. Das ist preisgünstiger als mit den schweren allradgetriebenen Riesenbussen.

Außerdem sind wir so flexibler, nicht so abhängig von nur einem Verkehrsmittel, zumal die Strasse nach Trinidad aufgrund der Regenfälle der letzten Tage auch erst wieder seit gestern passierbar sein soll.

 

Im Reiseführer liest sich die Wegbeschreibung so: "Fahrziel: Trinidad, Fahrzeit: 21 Stunden, in der Regenzeit auch über 50 Stunden, sechs Flussquerungen sind zu meistern".

Dieses Mal sollten wir aber Glück haben. Drei Tage lang regnet es keinen Tropfen. Ohne große Probleme erreichen wir San Borja, unsere erstes Etappenziel. Gleich an der kleinen Plazza finden wir ein Zimmer für die Nacht.

Da es in der Stadt keine Autotaxis gibt, müssen wir am nächsten Morgen die fünf Kilometer zum Busplatz mit zwei Motorradtaxis fahren. Gar nicht so einfach mit unseren Rucksäcken auf dem Rücken.

 

Unser Ziel heute ist El Porvenier, was soviel wie "die Zukunft" heißt. Hier gibt es eine Forschungsstation des Biosphärenreservates Beni. Die Zeiten als sich hier die Biologen aus verschieden Länder getroffen haben sind aber vorbei. Die Bibliothek ist in einem sehr schlechten Zustand. Viele Ausstellungsstücke (Insekten, Vögel) sind dem Verfall preisgegeben. Von den Verwaltern der Station werden wir freundlich empfangen. Im Garten dürfen wir Zelten. Mangos und Pampelmusen fallen uns von den Bäumen quasi in den Mund. Am Nachmittag laufen wir zu einer großen Lagune. Der Weg führt durch hüfthohes Gras. Unsere Füße versinken im aufgeweichten Boden. In der Lagune soll es die größte noch existierende Population von schwarzen Kaimanen geben. 400 Tiere sind in der letzten Trockenzeit gezählt worden. Von unserem kippligen Boot aus können wir in der Abenddämmerung vier Exemplare beobachten. Ausgerechnet das Größte nähert sich unserem Boot am weitesten. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl wenn neben einem ein 50 Zentimeter großer Kopf, 1,50 Meter langer Rücken, ein Meter Wasser und zwei Meter Schwanz vorbei treiben. Gigantisch diese Urzeitriesen!

 

In der Nacht kämpfen wir mit unzähligen Moskitos. Die haben durch unser von den Blattschneideameisen zerfressenes löchriges Zelt, leichtes Spiel.

Mit gepackten Rucksäcken stehen wir 9:00 Uhr an der Lehmpiste nach Trinidad. Eine Piste im Nirgendwo!

Tiefe Rinnen haben die LKWs in den Lehm gezogen. Inzwischen ist der schmierige Lehm Steinhart ausgetrocknet. Gegen 10:00 hören wir ein Motorgeräusch, kurze Zeit später sehen wir auch die Staubfahne am Horizont. Unser Bus kommt! Ein Doge Blue Bird, Baujahr: 1961. Alle Plätze sind besetzt. Im Mittelgang steht alles voller Körbe und Säcken. Kinder liegen halb im Gang, halb unter den Sitzen. Irgendwie zwängen wir uns dazwischen. Die drei Stunden bis San Ignazio de Moxos stehen wir im Gang.

Unser Fahrer fährt wie ein verrückter, ohne Rücksucht auf Insassen oder Material. Vollgas im dritten Gang, mehr geht nicht. Die ständigen Schläge knallen ungefedert auf unsere Knochen. Durch die offenen Fenster wirbelt ständig feinster Lehmstaub in das innere des Busses. In kurzer Zeit haben wir alle eine dicke Schicht Staub in den Haaren und auf unseren Sachen.

Wir hatten geplant in Moxos einen Tag Pause einzulegen. Aber das Nest ist nicht besonders anziehend.

 

Die Sonne drückt erbarmungslos. Vom bloßen dasitzen sind wir bis auf die Haut durchgeschwitzt. Außerdem würde ein kurzer Regen die Strasse wieder unpassierbar machen. Die Aussicht, hier mehrere Tage fest zuhängen, lässt uns nicht lange zögern. Unserer Rucksäcke bleiben auf dem Dach und wir fahren weiter nach Trinidad. Dreimal wird unser Vehikel von noch älteren Pontonfähren über Urwaldflüsse übergesetzt. Kurz vor Trinidad erreichen wir dann den Rio Mamore. Von hier aus könnten wir, zumindest theoretisch die 2600 Kilometer bis nach Manaus auf einem der Lastkähne Zurücklegen. Mal sehen ob wir Glück haben. Glück haben wir auf jeden Fall mit unserer Unterkunft in Trinidad. Im Hotel Copacabana nächtigen wir für 2.50 Euro auf dem Dach. Trotz des Karnevals sind wir wieder mal die einzigen Touris...

 

Karneval in Trinidad

 

Fünf Tage sitzen wir hier schon mehr oder weniger fest. Jeden Tag fahren wir am Morgen mit einem der Motorradtaxis zum Flusshafen Puerto Almacen. Das Militär kontrolliert den gesamten Schiffsverkehr. Also fragen wir direkt beim Kommandanten. Leider weiß der nette Herr Oberst auch nicht, wann ein Schiff erwartet wird. Am Abend sollen wir ihn auf seinem Privathandy anrufen. Ein eigenes Diensttelefon hat die Armee nicht. In Trinidad gibt es noch eine "Marineeinheit", die hat aber wegen des Karnevals ihren Laden einfach geschlossen. Wir warten am Karnevalssonntag auf der Hauptplazza auf den großen bunten Umzug. Irgendwann muss er ja kommen! Als bis 14:00 Uhr nichts passiert, gehen wir ins nahe gelegene Internetkaffee. Von hier aus haben wir einen schönen Überblick und sollten den Umzug vor allem auch rechtzeitig hören. Doch nichts geschieht! 16:00 Uhr frage ich eine Seniora, wann endlich der große Karnevalscorso beginnt. Erstaunt über meine Frage erklärt sie uns, dass alles schon vorbei sei. Karneval wird hier vor den Toren der 60000 Einwohner Stadt gefeiert. Ein alter Herr liefert dann auch noch die Begründung, "In der Feuchtsavanne gibt es keine großen Bäume, die für die Stromleitungsmasten geeignet sind, so fallen die Strommasten hier alles etwas kleiner aus und die großen Umzugs-LKW können nicht in das Stadtzentrum fahren". Außer ein paar Wasserbomben werfender Kinder haben wir alles verpasst. Schade, für uns wäre es während der Warterei eine schöne Abwechslung gewesen.

 

Aber es gibt noch andere interessante Dinge in der Stadt zu sehen, zum Beispiel das offene Abwassersystem.

An jedem Straßenrand befindet sich ein 60 cm breiter und 50 cm tiefer Abwassergraben. Darin gärt eine ekelhaft stinkende Suppe aus Abwasser, Müll und Kot. Die Brühe fliest in keine erkennbare Richtung, steht vielmehr und blubbert und bläselt vor sich hin. Rund um die Plazza sind am Abend genau über diesen Kanälen die Essstände der Straßenhändler aufgebaut. Zuweilen sollen sich noch heute in diesen Kanälen bis zu drei Meter lange Boas tummeln. Ilka, die Trinkwasserexpertin, kann das natürlich nicht glauben und zählt mir alle möglichen Krankheiten auf, die durch die Viren, Bakterien und Protozonen übertragen werden. Aber egal, morgen soll es, laut Aussage des Kapitäns eines der Tanklastschiffe, mit unserem Transport klappen und die Literflasche Rum kostet auch nur 1,50 Euro.

 

Pünktlich und vor allem optimistisch fahren wir 8:00 Uhr mit einem der wenigen Autotaxis die 13 Kilometer bis zum Hafen am Rio Mamore. Der Lastkahn liegt am Ufer. Den Kapitän, der in seiner Hängematte schläft, bekommen wir mit einiger Mühe munter. Aber die Zusage von gestern ist vergessen. Sein Schiff fährt vielleicht in einer Woche. Ob Flussauf oder Flussab weiß er selbst erst in vier Tagen. In der Hafenkommandatur gibt es auch nichts Neues.

 

So ein Mist! Wir haben die Warterei satt, außerdem geht das täglich Taxigefahre auch ins Geld. Uns reicht es! Wir fahren direkt zum Flughafen. Ilka ergattert zwei Tickets bei der Militärfluggesellschaft TAM. Ein Armist kontrolliert das Handgepäck aller Passagiere. Dummerweise habe ich unsere 1,5 Liter Benzinflasche (voll) mit in meiner Umhängetasche. Als der Kontrolleur sie findet, schnüffelt er nur kurz daran, meint aber dann doch, dass es etwas zu trinken sein müsste und reicht mir die Flasche zurück. Dass Ilka ihr Opinelmesser und ich noch die kleine Flasche Pfefferspray in der Hosentasche haben, merkt auch keiner. Wie wär's mit einem Direktflug zum Amazonas?!? Wahrscheinlich sind alle mit ihren Gedanken noch beim Karneval in Trinidad!

 

Eine Stunde später heben wir mit der altersschwachen Propellermaschine von der einzigen Betonpiste, die es im Amazonastiefland gibt, ab. Bei der Zwischenlandung in Riberalta müssen alle die fliegende Kiste verlassen. Die Räder am Flugzeug haben kein Profil, sind geflickt wie bei den LKWs und Bussen. Nach einer halben Stunde geht es weiter. Die Transportmaschine ist restlos überladen. Gepäckhaufen stapeln sich im vorderen und hinteren Teil.

 

Die wenigen Sitzplätze sind wie im Zug angeordnet. Man sitzt sich gegenüber. Ein Großteil der 30 Plätze ist doppelt vergeben. So zwängt man sich zu zweit auf einem Platz, steht im Gang oder vorn neben dem Piloten.

Rechts von uns gehen starke Regenfälle nieder, die Turbulenzen tun ihr Übriges. Nach zwei Stunden Flug, landen wir glücklich auf einer Wald- und Wiesenpiste in Guayramerin.

 

Rio Madeira

 

Der Fluss trennt die beiden Länder Bolivien und Brasilien. Die erforderlichen Ein- und Ausreisestempel bekommen wir in den zuständigen Behörden ohne große Probleme. In Brasilien müssen wir zum ersten Mal unsere Impfausweise vorzeigen. Ohne Gelbfieberschutz gibt es keine Einreisestempel.

 

Gut, dass bei uns alles in Ordnung ist. Die Vorstellung, direkt vor Ort geimpft zu werden, ist nicht gerade verlockend. Unser einziges Problem ist das Geld. Heute zum brasilianischen Nachkarnevalsfeiertag ist es im großen Brasilien unmöglich, Dollars oder Reiseschecks in die Landeswährung Real einzutauschen. Auf der bolivianischen Uferseite ist alles etwas unkomplizierter. Die Geldwechsler dösen, ob Feiertag oder nicht, immer am Hafen vor sich hin. Es hilft nur eins: Mit der Personenfähre fahre ich quasi illegal über den 500 Meter breiten Fluss zurück nach Bolivien, tausche dort 60 Dollar und lasse mich wieder nach Brasilien schippern. Lustig ist der Einbahnstraßenpassagierbootsverkehr. Das heißt, die bolivianischen Fähren fahren voll besetzt nach Brasilien, nehmen aber auf der Rückfahrt niemanden mit, umgekehrt halten es die Brasilianer genauso.

 

Der Rio Mamore/Madeira ist insgesamt 3200 Kilometer lang. 1,4 Billionen Liter Wasser fliesen pro Minute Richtung Amazonas. Der sechstgrößte Strom der Erde mündet 150 Kilometer südlich von Manaos in den Amazonas ein. Auf eben diesem Wasserweg wollen wir Manaos erreichen. Von Guajara-Mirim, der brasilianischen Grenzstadt ist das aber noch nicht möglich. Zumindest nicht für den motorgetrieben Schiffsverkehr. Die 400 Flusskilometer bis Porto Velho werden von 23 Wasserfällen und Stromschnellen unterbrochen. In den Zeiten des Kautschukbooms ist deshalb 1871 begonnen worden, eine Eisenbahnverbindung zur Umgehung der Stromschnellen in den noch unberührten Urwald zu schlagen. Endgültig fertig gestellt wurde diese Strecke aber erst 1907. Beim Bau der so genannten "Todesbahn" sind über 25000 Menschen gestorben. Für jede Bahnschwelle steht ein toter Arbeiter. 70 Jahre später ist zwischen Guajara-Mirin und Porto Velho eine Straße eröffnet worden. Das bedeutete nicht nur das Aus für die Eisenbahn, sondern war gleichzeitig auch der Startschuss für eine der größten Umweltsünden in den Regenwäldern Amazoniens. Der Bundesstaat Rondonia wurde für landeshungrige Siedler geöffnet. Mit ihnen kamen die Goldsucher und Glücksritter. Die Bevölkerung stieg von 110000 Einwohnern (1970) auf 1,3 Millionen (1990).

 

Ihren Höhepunkt erreichte die Landnahme 1980. Pro MINUTE wurde eine Fläche von der Größe eines Fußballfeldes abgeholzt! Heute leben in Rondonia sieben Millionen Menschen. Glaubt man den Plakaten und den Werbespots im Fernsehen, beginnt sich zaghaft ein Umweltbewusstsein zu entwickeln. Was wir mit unseren eigenen Augen sehen, spricht allerdings nicht dafür. Während unserer Busfahrt nach Porto Velho durchfahren wir endlose abgeholzte Gebiete. Am Horizont stehen die Rauchfahnen der Brandrodung. Den meisten Müll, den unsere Mitfahrer verursachen, werfen sie achtlos aus dem Fenster. Manchmal möchten wir einfach nur die Augen schließen, einfach die kläglichen Reste des Urwaldes ignorieren. Zum ersten Mal sehen wir die berüchtigten "Dragas", welche auf der Suche nach Gold im größeren Stil systematisch den Flussgrund durchwühlen. Nach sechs Stunden Busfahrt erreichen wir spät am Abend Porto Velho. Wir wissen, dass die Unterkünfte in der Nähe der Busbahnhöfe nicht besonders toll sind. Doch wir sind zu müde um noch lange herum zu suchen.

 

Das Hotel Amazonas hat nicht mehr zu bieten als seinen klangvollen Namen. Im dunklen Zimmer stehen zwei Betten. Matratze und Kopfkissen sind mit Folie überzogen. Auf dem Klo können wir nur quer sitzen, die Fliesen sind zur Hälfte abgefallen. Ein altersschwacher Ventilator bläst die schwülwarme Luft durch den Raum...

Am nächsten Morgen kümmern wir uns als erstes um Fahrkarten für unser Schiff nach Manaos.

Die Hafengegend ist nicht halb so schlimm, wie wir angenommen hatten. Zwei Fahrkarten kosten ca. 60 Dollar. Morgen Abend 18:00 Uhr soll es losgehen. Der Kapitän bietet uns an, heute Nacht schon auf dem Schiff schlafen zu dürfen.

Wir nehmen dankend an. Es kostet nichts und ist allemal besser als noch mal in unserem finsteren Kabuff schlafen zu müssen. Bevor wir die Rucksäcke holen, wollen wir noch die Geburtstagsmail für Fridolin absenden.

 

Er wird am 13.02. neun Jahre alt. Allerdings ist es schwieriger als gedacht. Immer noch haben wir ein großes portugiesisches Sprachproblem. Nach ewiger Fragerei stehen wir vor dem Bildungsministerium oder einem Ableger davon. Wir müssen unsere Pässe vorzeigen und bekommen einen Bezugsschein mit der Nummer 218. Ein bewaffneter Sicherheitsmann begleitet uns in den 3. Stock. Es ist wie auf dem Amt in Deutschland, erst als nach einer halben Stunde unsere Nummer auf der großen Anzeigetafel aufblinkt bekommen wir einen Rechner zugewiesen. 20 Minuten darf jeder kostenlos surfen, dann geht der Rechner automatisch aus. Das Ganze dient der Volksbildung, bestimmte Seiten dürfen nicht angewählt werden.

 

Gegen Nachmittag entern wir "unser" Schiff. Frisch gestrichen leuchtet es in Rot, Weiß und Blau. Schwitzende, fluchende Männer schleppen schwere Kisten mit Äpfeln und Paprika von Hand in das Unterdeck. Auf dem ersten Deck stapeln sich bis unters Dach säckeweise Zwiebeln. Dazwischen dröhnt volle Hütte ein Fernseher - Fußball natürlich, was auch sonst. Eine Etage höher hängen schon die ersten Hängematten.

 

Acht Meter breit und 20 Meter lang ist das Deck. Auf dieser Fläche zählen wir insgesamt 64 Hängemattenplätze (natürlich mit unserer naiven europäischen Sichtweise). Heute Nacht bleibt es ruhig.

Wir sind nur zu zwölft. Ab 6:00 Uhr beginnt ein regelrechter Ansturm auf die besten Schlafplätze.

Immer mehr Leute drängen mit ihren Taschen und Säcken auf das Schiff.

 

Gegen Mittag sind alle Plätze belegt - dachten wir zumindest. 17:00 Uhr zählen wir nur auf unserem Deck 98 Hängematten. Eine Etage tiefer zwischen den Zwiebeln sind noch mal 56 Matten aufgespannt. Wie die Sardinen hängen wir jeweils in 30 cm Abstand nicht nur nebeneinander sondern auch bis zu dreietagig übereinander. Einige Hängematten sind mit zwei Erwachsenen belegt. In anderen schlafen drei Kinder. Das Chaos ist perfekt!

 

Genüsslich beobachten wir das Treiben von unseren Plätzen aus, müssen manchmal unseren Raum auch lautstark verteidigen. Andere Reisende, die nicht zu zweit sind, haben es da schon schwerer. Verlässt Mann oder Frau seinen Platz um auf Klo zu gehen, setzen sofort ein Verschieben des Gepäcks und ein Umhängen der Matten ein. Kommt der oder die Unglückliche zurück, ist der eigene Platz weg. Das ist spannender als ein Fernsehkrimi. Den letzten Nachzüglern bleibt nur noch der Fußboden als Schlafplatz übrig.

 

Zwei Finnen sind auch mit an Bord. Schlauerweise stellen sie ihr Zelt auf das Oberdeck. Im Moment ist es dort ruhig. Aber die Ärmsten haben die großen Musikboxen in den Ecken noch nicht entdeckt. Die folgenden drei Abende sollte sich ein Alleinunterhalter die größte Mühe geben, selbst noch die Affen am 500 Meter entfernt liegenden Ufer mit seinen Sangeskünsten wach zu halten. Die beiden Finnen haben am Ende von allen am wenigsten Schlaf abbekommen.

 

Schell bilden sich im Laufe des ersten Tages auf dem Fluss kleine Gemeinschaften. Jeder kennt die Gewohnheiten des nächsten und übernächsten Nachbarn. Kekse, Bonbons und Zigaretten werden ausgetauscht. So gut es eben geht, richtet man sich ein. Selbst den dritten Hängemattennachbarn könnte ich mit der ausgestreckten Hand noch erreichen.

 

Rechts von mir liegt eine junge Mutti mit ihren drei Kindern. Ilka hat es da schon schwerer. Eine nur 1,50 Meter große und ebenso breite Frau macht sich neben ihr zu schaffen. Ständig schaukelt sie, als ob sie allein auf dem Schiff wäre. Zum Spaß lasse ich Ilka und sie öfter mal aneinanderknallen. Hängemattenpogo! Doch es hilft nichts. Ilka lässt sie nachts ab und an gegen ihren Ellebogen knallen. Vor lauter Hüftgold merkt sie das heute und in den nächsten Tagen immer erst beim dritten Mal. Zu allem Überfluss trägt die Dame ein Trägerhemd und Hotpants, natürlich stilecht in "Fleckentarn". Ihren Hund, den sie den ganzen Tag mit sich rumschleppt, nimmt sie abends mit in ihre Hängematte. Hoffentlich überlebt das arme Vieh die Reise. Ihr Mann, etwas größer, aber auch nicht gerade schlank, ist ständig bemüht, seine zänkische, laute Alte bei Laune zu halten. Wenn es ihm zuviel wird, fragt er mich nach einer Zigarette. Nach jeder Zigarette putzt er sich ewig lang die Zähne.

 

In diesen Gemeinschaften, passt jeder auf das Gepäck und die Schlafplätze des anderen auf. Veränderungen jeglicher Art werden sofort weiter erzählt. So gesehen besteht das ganze Hängemattendeck aus vielen kleinen Familien, die alle gegenseitig auf sich aufpassen.

Zehn Schlafplätze, drei Minigemeinschaften oder drei Meter weiter, liegt dann die wirklich "Dicke" in einer für drei Personen ausgelegten Riesenhängematte. Egal in welche Richtung sich unser "Panzerkreuzer Potjomkin" auf dem Schiff bewegt, alle werden mittel oder unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen. Es gibt nichts, wo sie nicht dagegen rennt. Beim Essen ist sie immer die Erste, holt sich vier Riesenportionen. Nicht mal die Männer können ihr Paroli bieten. Mit ihrer lauten und vulgären Stimme verschafft sie sich Respekt. Wir überlegen ob wir nicht mal ihren Hängemattenknoten lösen sollten.

 

Ein besonderer Service an Bord ist die Nagel- und Fußpflege. Die Dame vom Fach hat dazu extra eine Fußwanne mitgebracht (wir dachten erst, es wäre der Hundenapf). So sitzen dann die Kundinnen irgendwo im Weg rum, baden ihre Hände in einer mit braunem Flusswasser gefüllten aufgeschnittenen Plastikflasche, während die Manikeuse die Zehennägel über Deck hüpfen lässt.

48 Stunden genießen wir schon das brasilianische Leben auf dem Schiff. Aber auch die Natur hat so einiges zu bieten. Letzte Nacht sind wir vom Sturm überrascht worden. Wellengang wie auf Hoher See. Durch den starken Regen betrug unsere Sichtweite gleich Null. Klugerweise hat der Kapitän das Schiff in den Uferschlamm gesetzt. Vorsorglich legen die Mütter ihren Kindern Schwimmwesten an. Als nach zwei Stunden das Unwetter vorbei ist, dauert es noch eine Stunde bis das Schiff wieder aus den Untiefen herausmanövriert ist. Auch heute ist es tagsüber windig und regnerisch.

 

Alle Hängematten schaukeln zum ersten Mal im Gleichklang nach rechts und links. Langsam ziehen die Urwälder an uns vorüber. Schwer können wir uns diese unendliche Weite und Größe vorstellen.

Am 13.02.2005, 16:00 Uhr, erreichen wir 150 Kilometer östlich von Manaos den Amazonas. Der gigantisch große Rio Madeira fließt in den noch viel größeren Amazonas.

 

El Pauji

 

Eine Woche lassen wir uns Zeit, die Millionenstadt Manaos im Herzen Amazoniens zu erkunden, fahren mit den unzähligen Stadtbussen in die entlegensten Winkel der Metropole.

Die verschiedenen Wasserfarben am Zusammenfluss von Rio Negro und Rio Amazonas sehen wir von der Autofähre nach Careira. Das kostet inklusive Busfahrt zur Fähre nur fünf Reals. Eine gebuchte Touristentour zum Zusammenfluss ist nicht unter 35 Dollar zu haben.

 

Die Gegend rund um den Flusshafen hat es uns besonders angetan. Stundenlang beobachten wir in die an und abfahrenden Schiffe. Ein buntes, wüstes durcheinander. Ratten und große Geier sitzen in den Abfallbergen, die sich am Ufer türmen. Bettler dösen unter Pappkisten und strecken ihre Hände den Reisenden entgegen. Schreiend und gestikulierend werden die Holzschiffe mit allen nur denkbaren Waren be- und entladen. Zwischen den Schiffen baden im trüben, nach Fäulnis riechenden Wasser die Kinder...

 

Nach sechs Tagen Großstadt wird uns der Trubel zuviel. Wir kaufen Bustickets für die 800 Kilometer lange Strecke nach Santa Elena (Venezuela). 200 Kilometer vor der Grenze am Busbahnhof in Boa Vista geraten wir kurz ins Grübeln. Es gibt tatsächlich eine Direktverbindung nach Georgetown (franz. Guyana) bis zum Atlantik. Ilka mochte lieber nach Venezuela, und da Frauen eh immer Recht haben, kommen wir am 19.02.2005 pünktlich 10:00 Uhr in Santa Elena an.

 

Santa Elena ist der Ausgangspunkt für die Wanderungen auf den Gipfel des Roraimatepuis, dementsprechend gibt es in der Stadt einige Agenturen und Touristen. Unser Interesse aber gilt einer kleinen Piste die sich noch ca. 100 Kilometer an der brasilianischen Grenze entlang zieht. Das ist das Gebiet der Goldsucher. Mit einem Sammeltaxijeep fahren wir nach El Pauji.

 

Wir wissen, dass sich die Mineros am Abend in einer der beiden Kneipen treffen. Das Bier wird wie alles andere auch in Gold bezahlt. Ein Gramm stellt den Gegenwert von 30000 Bolivares dar. (13 Dollar) Die Goldsucher begegnen uns mit Misstrauen aber auch mit Drohungen, dass wir ja nicht auf die Idee kommen, uns allein zu den Flüssen zu begeben. Der Kneipenwirt meint, dass alle Angst vor Journalisten haben und ein Kameraobjektiv fürchten wie die Pest.

 

Da wir hartnäckig bleiben, dürfen wir am dritten Tag mit zu einer kleinen Mine. Hier werden das Gold und die Diamanten noch mit der Hand gewaschen. Uns wird erzählt das jeder nur soviel wäscht, wie er und seine Familie zum Leben benötigt. Eine heile Welt wird uns vorgeführt. Dabei sehen wir selbst das täglich mindestens 2000 Liter Benzin weiter bis nach Icaparu gebracht werden. Dort wird mit großen Maschinen gearbeitet. Der Kneipenwirt erzählt uns auch noch von den illegalen Tierjagden. Abgesehen hat man es natürlich auf gewinnbringende Felle. Da die Mineros hier auf venezuelanischer Seite kaum noch einen Baum übrig gelassen haben, weicht man bei diesen Jagden weit in den brasilianischen Urwald aus. Für ein nicht unerhebliches Entgelt könnten wir morgen mit auf die Jagd gehen.

 

Die toten Tiere vom letzten Jahr sind uns noch gut in Erinnerung. Außerdem spüren wir eine immer stärker werdende Abneigung der Dorfbewohner. Unser rein touristisches Interesse nimmt uns keiner mehr ab.

Die beiden Militärstationen auf dem Rückweg nach Santa Elena passieren wir ohne Probleme.

Es wird nicht mehr allzu lange dauern, dann treffen sich die Goldsucher vom Orinoco, Rio Casiquaire mit denen, die von Santa Elena aus in den Urwald einfallen!!!

Reiseroute

Bolivien, Brasilien, Venezuela - La Paz, Jolosa-Caranavi-Rurre, Expedition: Quellgebiet Madidi, San Bojra-Station Biologico Beni-Trinidad, Schiffspassage: Porto Velho-Manaos, Boa Vista-Santa Elena-el Pauji-Ciudad Bolivar, Expedition: Salto Angel, Ciudad Bolivar-Coroni-Caracas