Ayan Tepui - Insel unserer Zeit

Gerade noch rechtzeitig erreichen wir den Flughafen in Ciudad Bolivar. Unser Taxifahrer hatte auf der Fahrt hierher einen Platten gefahren. Schon beim Einsteigen vor unserer Posada hatte der Fahrer unsere schweren Rucksäcke geringschätzig gemustert. 30 und 25 Kilo, hoffentlich geht das gut. Es musste ja passieren. Einen der unzähligen Toppes nahm der Fahrer dann mit zu hoher Geschwindigkeit. Der profillose Hinterreifen ist einfach geplatzt. Toppes sind kleine oder größere Hügel die quer zur Fahrbahn verlaufen. Durch diese Einrichtung erhoffen sich die Behörden eine Reduzierung der Geschwindigkeit vor wichtigen Institutionen zu erreichen. (Militär, Krankenhäuser) Der Volksmund bezeichnet sie auch als schlafende Polizisten. Die meisten der Uraltautos in Venezuela segnen genau an diesen Toppes endgültig das Zeitliche. Allein hier in Ciudad Bolivar haben wir drei Autos mit kapitalen Achsschäden just neben diesen "schlafenden Polizisten" liegen gesehen.

 

Im Flugbüro von "Transmandu" (ein Tisch, zwei Stühle) ist die Sekretärin schon am arbeiten. Als erstes erzählt sie uns, dass unser Rückflug von Kavac plötzlich 60.000 Bolivares pro Person mehr kostet, als wir vereinbart hatten. Wir bezahlen natürlich nicht und warten auf den Kapitän Alfonso.

Kurz nach sieben erscheint er dann unser Pilot: Kapitän Alfonso. Mit seinem gelben verschwitzten T-Shirt und seinen fleckigen, löchrigen Jeans sieht er eher aus wie ein Bauarbeiter. An seiner Brille, die ihm ständig über die Nase rutscht, fehlt ein kompletter Bügel. Als erstes verbreitet er Hektik. Sofort sollen wir ihm mit unseren schweren Rucksäcken zu seiner Maschine folgen. Wir rennen hinterher.

Das Flugzeug ist schon mit allerlei Dingen voll gestopft. Lebensmittel stapeln sich bis unter das Dach. Unser Gepäck schieben wir noch irgendwie obendrauf. Ich darf vorne neben Alfonso sitzen, als Copilot sozusagen. Leider ist mein Fußraum bis zur Hälfte mit Salzbeuteln ausgestopft, was meine Sitzposition nicht gerade verbessert. Nach vielen Versuchen und einigem Gewersche bleibt auch endlich das Seitenfenster ganz alleine zu.

Hoffentlich fliegen unsere Rucksäcke nicht während des Fluges zur Tür raus.

 

Am Anfang des Fluges erzählt uns Alfonso, dass er früher auch mal eine der großen Boeings geflogen hat. Heute hat er seine eigene Maschine. Die ist zwar die älteste hier, aber Probleme gebe es deswegen keine.

Noch in der Luft regeln wir das Geschäftliche, bekommen unseren Rückflug für die vereinbarten 180.000 Bolivares von Kavac aus. Am 16.03.05 pünktlich 8:30 Uhr soll er uns wieder abholen. Dann schlafen nicht nur meine Füße und das Gespräch, sondern tatsächlich auch unser Flugkapitän ein!!! Ihm fallen immer öfter die Augen zu. Klar fliegen macht müde, aber als Pilot??!!! Ich schaue auf die Uhr. 30 bis 50 Sekunden am Stück hat er die Augen zu!

 

Die Hände liegen in seinem Schoss. Während dieser Zeit des Sekundenschlafs rutscht sein rechtes Bein nach vorn und drückt dort auf das rechte Fußpedal des Fliegers. Wir fliegen eine flache Rechtskurve. Er scheint eine innere Uhr zu haben. Gerade als mir die Schräglage zu bedrohlich wird, ich ihm auf die Schulter klopfen will, durchzuckt es seinen Körper, er weckt auf, korrigiert die Maschine und das Spiel beginnt von neuem. Nur diesmal alles nach der linken Seite. Das wiederholt sich mehrfach.

 

Als der Ayan Tepui ins Blickfeld ändert sich das schlagartig. Mit hoher Geschwindigkeit schießen wir knapp über die riesige Oberfläche des Tafelberges. Der Ausblick ist fantastisch. Eine gigantisch große, zerklüftete geheimnisvolle Welt liegt unter uns. Als wir über den Canyon del Diablo (Teufelsschlucht) fliegen, den 1000 Meter hohen Salto Angel in einiger Entfernung sehen, kommen uns zum ersten Mal Zweifel. Ist es überhaupt möglich diesen Wasserfall von oben, vom Plateau aus in 14 Tagen zu erreichen??? Werden wir es schaffen unser komplettes Gepäck (zwei Rucksäcke 25 Kilo und 30 Kilo) ohne Zuhilfenahme von Trägern hier nach oben zu befördern???

 

Wir kommen uns im Angesicht des Tepuis winzig klein vor. Wir sind nervös, wie schon lange nicht mehr. Die Landung auf der kleinen Piste in Kavac klappt bestens. Unser Pilot, der von den einheimischen Pemon- Indios als Speedy Gonzales bezeichnet wird, ist wieder die Hektik in Person. Alles muss furchtbar schnell gehen. Die Maschine wird in weniger als fünf Minuten entladen. Er wünscht uns noch viel Glück, schon fliegt er wieder davon.

 

Noch auf der staubigen Flugpiste treffen wir Jose Pinzon. Er ist uns als guter Führer empfohlen worden, dass seine Ortskenntnisse oben auf dem Plateau auch nur bis zum Camp El Ozo (Markanter Punkt nach dem Aufstieg) reichen, erzählt er uns erst am zweiten Abend, als wir schon die ersten 1000 Höhenmeter hinter uns gebracht haben. "Was soll's" denken wir uns. Jose meint "No Problemo", alles wird schon klappen.

 

Nachdem wir alle drei unsere Lebensmittelvorräte (insgesamt 40 Kilo) verstaut haben laufen wir los. Auf den erste 20 Kilometern queren wir drei Flüsse. Den Rio Kavac, den Rio Yurwan und den Rio Okoeine. Der Weg führt durch endlose, menschenleere Savanne. Die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel. Die 30 Kilo Rucksackgewicht liegen schwer auf dem Rücken. Da ich wieder Mal nicht auf Ilka höre, bloß im Träger Shirt losgelaufen bin, verbrenne ich mir Oberarme, Hals und Kopf. Nach fünfeinhalb Stunden stehen wir schon ziemlich KO am Fluss des ersten kleinen Plateaos. Von hier aus können wir zum ersten Mal die Flanken des Tepuis sehen. Irgendwo da Oben ist die einzige Aufstiegsmöglichkeit zur 700 Quadratkilometer großen Oberfläche des Tepui. Ilka zweifelt an sich selbst, "Mit dem schweren Rucksack schaff ich das nie und nimmer!" 20 Minuten später liegt sie völlig ausgepumpt im Gras, " Torsten, ich schaff das nicht!" Die Pausen sind verführerisch, es dauert lange, bis ich sie zum Weitergehen motivieren kann. Aber uns bleibt keine Wahl, wir müssen!! Hier gibt es kein Wasser und der nächste Fluss, der Rio Guayaraka liegt noch unendliche drei Stunden Gehzeit und 300 Höhenmeter über uns. Immer öfter bleibt sie stehen, ihr ist schlecht. Abwechselnd mit Jose tragen wir ihren Rucksack das letzte, steilste Stück den Hang hinauf. Die letzte Stunde ab der Kante schnallt sie sich die 25 Kilo wieder selbst auf den Rücken. Kurz vor der Dämmerung erreichen wir das Camp Guayaraka, ein kleines Schutzdach aus den Wedeln der Moriche Palme. Von Muskelkrämpfen geplagt bewegt sich Ilka keinen Meter mehr. Neun Stunden Gehzeit sind für den ersten Tag einfach zuviel. Jose gibt uns Recht, erzählt noch, dass wir die ersten sind, die noch am Anreisetag losmarschiert sind!

Mit uns schlafen im Camp noch drei Jäger aus der Pemonsiedlung Kamarata.

Der Blick am Morgen zur Steilwand, lässt Böses ahnen. Der heutige Tag wird noch weit anstrengender als der erste Tag werden. Zwei Stunden laufen wir durch fast ebenes Savannengebiet bis zum Rio Atapere. Nach der Querung des Flusses wird es ernst. Senkrecht führt der Weg zur Zweiten Ebene des Tafelberges nach oben. Der Aufstieg durch den feuchtheißen Urwald geht an die Substanz. Selbst bei mir strömt der Schweiß aus allen Poren.

 

Ilka ist klatschnass wie ein Wasserfall. Trotzdem hält sie tapfer durch, hat ihre kurze Schwächphase von gestern schnell überwunden. Endlich erreichen wir El Danto. Das ist nichts weiter als ein großer Felsblock, eine Boofe. In der Nähe gibt es frisches Wasser. Wir legen eine Pause ein, genehmigen uns eine leckere Dose mit Sardinen zum Mittag. Für kurze Zeit frischt der Wind auf, vertreibt die Wolken, die die 800 Meter hohen Steilwände einhüllen. Unter diesen Steilwänden liegt unser heutiges Tagesziel, ein riesiger Felsblock in dessen Schatten wir unser Zelt aufstellen. Wieder waren es acht anstrengende Stunden Gehzeit. Zum Abendessen bereitet Ilka Reis, wie sollte es anders sein, mit Sardinen zu. Das Waschen im nahe gelegenen Bach fällt kurz aus. Das Wasser ist eiskalt. Die Nacht wird sehr unruhig, da unser Lagerplatz von einer ganzen Horde Mäuse belagert wird, die sich an unseren Essensvorräten zuschaffen machen. Am nächsten Morgen liegt die Steilwand über uns komplett in den Wolken, dafür haben wir einen freien Blick nach unten über die sich endlos bis zum Horizont erstreckende Gran Sabana. Zwei Stunden steigen wir bis direkt an die Wand heran nach oben. Auch auf diesem Teilstück benötigen wir schon desöfteren Allrad, d. h. mit den Händen ziehen wir uns an Steinen und Wurzeln empor. Die Füße suchen an kleinen Vorsprüngen halt. Immer wieder vertreibt der Wind die Wolkenschwaden von der Steilwand, gewährt uns kurze Blicke auf den Einstieg zum Canyon del Diablo, der einzigen Aufstiegsmöglichkeit auf den Ayan Tepui. Bis zum Canyon müssen wir noch einen Kilometer direkt entlang der Felswand überwinden. Der schmale Pfad erfordert volle Konzentration. Über Wurzelwerk und morastige Passagen arbeiten wir uns voran. Ein paar Sträucher verhindern nach links Blick in den bodenlosen Abgrund, vermitteln ein Gefühl der scheinbaren Sicherheit. Im Canyon selbst ist jetzt dichter Nebel. Nur schemenhaft können wir das obere Ende erahnen. Vier, für uns mit unseren schweren Rucksäcken recht schwierige Kletterpassagen sind mit alten Seilresten "abgesichert"... Endlich! Nach fünf Stunden Gehzeit erreichen wir das oberer Plateau in 2500 Meter Höhe. Ein unbeschreibliches Gücksgefühl! Wir fallen uns in die Arme. Selbst das Wetter ist uns wohlgesonnen. Immer öfter reißt der Wolkenvorhang auf. Was wir sehen ist ein unendlich großes Gebiet, 700 Quadratkilometer, fast halb so groß wie Sachsen. Getrennt von der Außenwelt durch 800 Meter hohe, meist senkrecht abfallende Felswände.

 

Das Szenario aus zerklüfteten Tälern und gewaltigen Felsen, Bergen und Flüssen ist einfach nur fern jeder fassbaren, gewohnten Realität. Als ob Zyklopen an einem überdimensionalen Würfelspiel teilgenommen hätten, liegen hunderte hausgroße Felsklötze, jeder nur denkbaren Form vor uns verstreut. Viel Zeit zum Staunen bleibt allerdings nicht. Jose drängelt, drei Stunden ist unser Tagesziel noch entfernt. Fünf weitere Passagen mit Seilunterstützung sind noch zu meistern. Totmüde, aber überglücklich erreichen wir den Lagerplatz " El Ozo" ("Der Baer"). Die meisten Lagerplätze haben Tiernamen, die sich aus umliegenden Felsformationen ableiten lassen. Sämtliche Schlafplätze sind also nur mehr oder weniger windgeschützte Felsüberhänge. Trägt so ein Lagerplatz noch den Zusatz "Hotel", bedeutet dies lediglich, dass sich in unmittelbarer Nähe eine Wasserstelle befindet. Meist reicht die wirklich ebene Fläche gerade so für zwei Zelte. Gestern gab es Reis mit Sardinen, also verwöhnen wir unseren Gaumen heute mit Nudeln und Sardinen. Diesen Geschmackswechsel werden wir wohl oder übel noch 14 Tage beibehalten müssen. Nachts klappern wieder die Mäuse mit unseren Töpfen, lassen uns lange Zeit nicht einschlafen.

 

Eine große Herausforderung stellt am nächsten Tag das Brotbacken dar. Zuerst versuche ich es mit einem sehr dünnen Teig aus zu wenig Mehl, zu viel Wasser und zu viel Salz. Löffelweisse lasse ich den Teig in das kochende Öl laufen. Sofort bleibt alles auf dem Boden kleben. Bei Umrührversuchen zerfällt die Pampe in tausende kleine Flöckchen. Der zweite Versuch mit einem sehr trockenen Salz-Wasser-Mehl-Gemisch gelingt schon wesentlich besser. Einmal hin und hergedreht - fertig ist das frittierte Brot! Mit etwas Zucker ist das ganze sogar genießbar. Zum Perfektionismus habe ich noch die nächsten 13 Tage Zeit.

 

Aufgrund des Öl und Teiggemehres kommen wir erst sehr spät in die Startlöcher. Bis zum Mittag laufen wir im breiten Tal des Rio Churun, der von vielen kleinen Quellzuflüssen aus den Felsen gespeist wird. Der Weg führt leicht abwärts. Der Untergrund besteht zum Großteil aus schwarzen, scharfkantigen Felsen. Immer wieder müssen wir über tiefe Klüfte springen. Augen zu, Anlauf nehmen und drüber. Weiter unten im Tal ist der Fluss von niedrigem Urwald umgeben. Wie die Affen hangeln wir durch die Bäume über bodenlose Felsspalten hinweg. An anderen Stellen ist ein Vorwärtskommen nur auf allen Vieren oder kriechend möglich.

 

Meter für Meter kämpfen wir uns voran. Armdicke Baumstämme liegen über breiteren dicht bemoosten rutschigen Felsspalten. Jeder Schritt erfordert absolute Konzentration. Bis zum Nachmittag schwitzen wir uns auf diese Art und Weise vorwärts. Endlich erreichen wir eine kleine freie Fläche, bestens geeignet für unsere Zelte. Über einen Felsblock kommen wir direkt bis zum zehn Meter entfernten Rio Churun. Im Schein der Abendsonne leuchtet das colafarbene Wasser in allen nur erdenklichen Variationen. Das Flussbett besteht aus riesigen Felsplatten. Von hier aus haben wir einen herrlichen Blick auf unseren morgigen Weg. Unmittelbar hinter unserem Camp "El Dragon" türmt sich eine 300 Meter hohe Felswand auf. Ein Tafelberg auf dem Tafelberg. Der Durchstieg lässt sich von hier unten aus lediglich erahnen. Wir geben uns nur kurze Zeit irgendwelchen Spekulationen hin. Was interessieren uns die Probleme von morgen. Heute nutzen wir die Sonne und das eiskalte Wasser zum Baden und um unsere verschwitzte klebrige Kleidung auszuwaschen.

 

6:30 Uhr weckt uns die aufgehende Sonne. Ein herrlicher Morgen. Kein Wölkchen ist am stahlblauen Himmel zu sehen. Selbst das frittierte Brot schmeckt heute besser als gestern. Pünktlich 8:00 Uhr marschieren wir los. Der Pfad zur Felswand führt durch dichtes Gestrüpp, wie durch einen Tunnel. Wieder geht es nur auf allen Vieren oder kriechend voran. Am schwierigsten ist es, wenn wir uns mit unseren Rucksäcken im Geäst verhaken und wieder rückwärts kriechen müssen. Das kostet jedes Mal viel Kraft. Die 300 Meter hohe Wand durchsteigen wir in zwei Stunden. Einige Kletterpassagen (saechs. Schwierigkeit eins bis zwei) sind zu überwinden. Das Bewegen im vertrauten Terrain macht Spaß. Viel gefährlicher als die Kletterei sind wiedermal die bodenlosen Felsspalten. Ein falscher Schritt könnte fatale Folgen haben. Da wir weder über Handy oder Satellitentelefon verfügen, würden Tage vergehen, bis hier oben Hilfe eintreffen könnte. Von den Felsvorsprüngen können wir immer wieder kurze Blicke auf das zurückliegende "Tal der tausend Steine" werfen. Grandios! Allerdings währt die Freude nur kurze Zeit. Vor uns, auf dem letzten Plateau liegt ein riesiges Sumpf- und Morastgebiet. Die Ebene fällt leicht Richtung Norden, Richtung Salto Angel ab. Erst weiter unten bilden sich kleine Wasserlöcher. Später sammelt sich das Wasser in kleineren Flüssen.

 

Bevor wir jedoch den ersten Fluss erreichen, liegen acht Kilometer Sumpflandschaft vor uns. Bei jedem Schritt versacken wir bis über die Knöchel im fauligen Schlamm. Stellenweise brechen wir bis zu den Knien durch die dünne Grasnarbe ein. Drei Stunden stapfen wir durch dieses baumlose Gebiet. 15:00 Uhr erreichen wir den ersten kleinen Fluss, der das Wasser des Morastgebietes aufnimmt. Eine ebene trockene Fläche zum campieren ist schnell gefunden. Die pralle Sonne trocknet unsere zuvor im Schwarzwasserfluss gereinigten Sachen sehr schnell. Am Abend sitzen wir bei Tee um ein kleines Lagerfeuer, lassen unsere Gedanken über die Mystik der Tafelberge freien Lauf. Es ist, als ob uns der Ayan Tepui jeden Tag neue, noch grössere Hindernisse in den Weg legt, nur um zu verhindern, dass wir sein Heiligstes erreichen!

07.03.2005

Zwei weitere lange Tage quälen wir uns durch endlosen Urwald. Dieser Wald hier hat nichts gemein mit dem Tieflanddschungel. Hier oben auf dem Tepui drängt sich aller Bewuchs bis zu einer Maximalhöhe von zehn Metern zusammen. Alles wächst kreuz und quer. Kein Licht dringt auf den Boden. Kilometerlang klettern wir wie die Affen auf den Bäumen zwischen Wurzeln und verschlungenem Geäst ohne ein einziges Mal den Boden überhaupt zu berühren. Wie ein Spinnennetz haben die Bäume ein Geflecht aus Wurzeln über die Felsbrocken gespannt. Die verschlungenen Baumstämme sind dick mit dunkelgrünem Moos bedeckt. Auf den Stämmen wuchern außerdem unzählige hellgrün leuchtende Bromelien, an deren scharfkantigen Blättern wir uns die Hände aufreißen. Jeder Schritt wird zur Rutschpartie, ständig bleiben wir hängen, stoßen unsere Köpfe, Beine und Arme irgendwo an. Unsere Ausrüstung leidet genau wie wir unter den Strapazen. Meine Hose besteht nur noch aus Flickstellen. Gut das Ilka jeden Abend mit Engelsgeduld die Schäden so gut es geht beseitigt. Jede Hügelkette, die wir auf diese Art und Weise erklimmen weckt neue Hoffnungen. Die Felsen der Steilwand, der Salto Angel muss, darf nicht mehr weit entfernt sein! Das einzige was wir von den Hügelketten aus sehen, sind immer weitere Hügelketten und tief eingeschnittene Täler.

 

Natürlich alles mit dichtestem Urwald zugewuchert. Es ist zum Verzweifeln. Der Weg zerrt an unseren Nerven. Unsere Knöchel sind vom permanenten Rumgerutsche dick angeschwollen, Ilkas Oberschenkel werden von großen Blutergüssen "verziert". Insgesamt sind es an die 20 Hügelketten, die wir bis zum "Angel fall" überqueren. Am Nachmittag dann der große Moment. Der Urwald lichtet sich, wir stehen unmittelbar über der fast 1000 Meter abfallenden Felskante am "Canyon del Diablo". Tief unter uns fließt der Rio Churun, an dessen Quellflüssen wir Tage zuvor unser Camp aufgeschlagen hatten. 40 Minuten laufen wir noch bis zu einem kleinem Fluss, dessen Wasser zwischen Felsblöcken in einer Art Canyon verschwindet. Wir hören es rauschen und donnern. 200 Meter vor uns, stürzt das Wasser, glaubt man den Venezuelanischen Prospekten 1000 Meter in die Tiefe. Unsere Zelte stellen wir auf ebenen Felsplatten auf. Grosse Steine sichern unsere "Hütte" vor dem heftigen Wind so nah am Abgrund. Mit Jose wage ich einen ersten Erkundungsgang. Im großen Bogen laufen wir bis zur Abbruchkante. Das Terrain ist nicht ungefährlich. Zwei Kletterstellen mit einem irren Blick in die bodenlose Tiefe sind zu meistern. Dann endlich sehen wir ihn, den "Salto Angel", das Ziel unserer Reise. Zum Foto schießen hält mich Jose hinten am Hosenbund fest. So kann ich mich weiter über die Kante beugen, den Salto von oben bis unten ins Visier nehmen. Unten im Tal erkennen wir das Camp der Canaimatouristen. Genau an dieser Stelle ist letztes Jahr die Idee zu dieser Tour gereift. So weit das Auge reicht erstreckt sich die Kulisse der Tafelberge. Aber egal wie weit wir auch blicken alles gehört zu diesem einen, dem Ayan Tepui. Diese Dimensionen sind fern jeglicher Vorstellungskraft. Nach einigem Suchen finden wir noch einen leicht zugänglichen Aussichtspunkt. Wir genießen das Farbspiel der frühen Abendsonne. Gegen 18:00 Uhr, als es schon dunkel wird, kehren wir zu unseren Zelten zurück. Ilka wartet schon ungeduldig, hat sich Sorgen gemacht. Unsere abendliche Mahlzeit besteht wie immer aus Reis. Belohnt für unsere Mühe werden wir von einem prächtigen Sternenhimmel. Nachts besuchen uns noch zwei Rabipelao, etwa katzengroße Tiere, mit einem langen nackten Schwanz, den sie wie die Affen zum Klettern einsetzen können. Ihre großen runden Augen leuchten im Schein der Taschenlampe. Gefährlich sind sie nicht, nur nervig. Die ganze Nacht schleichen sie ums Zelt und suchen nach Essensresten.

Am nächsten Morgen verdecken Wolken jegliche Aussicht. Es ist empfindlich kalt geworden. Nur kurz reist der Dunstschleier auf. Alle drei sitzen wir zwei Stunden am Aussichtspunkt und beobachten das Spiel der Wolken unter uns. Auf dem Weg zurück zum Zelt stören wir noch einen Nasenbären, der in einem Termitenhaufen herumwühlt. Am Nachmittag sortieren wir unsere Ausrüstung, packen alles zusammen. Wir wollen und müssen zurück. Unsere Essensvorräte sind "nur" für 14 Tage kalkuliert. Am 14.03.2005 treffen wir wieder am Ausgangspunkt unserer Tour, in Kavac ein. Den Rückweg haben wir regelrecht genossen. Unsere Rucksäcke sind fast leer. Den vielen kleinen Dingen am Wegesrand konnten wir endlich unsere Aufmerksamkeit widmen. Meine Recherchen bei den Pemon-Indios in Kavac förderten dann noch eine ganz besondere Neuigkeit zu Tage. Ilka ist die erste Deutsche, die oben am Salto Angel gestanden hat und das ganze ohne Begleitmannschaft vollbracht hat! Das ist doch auch mal was. Zur Feier des Tages kaufe ich ein völlig überteuertes Stück Fleisch, über welches sich Ilka natürlich riesig "freut". Am 16.03.2005 fliegt wie vereinbart Alfonso mit seiner Jesna ein. Wir müssen erst nach Canaima fliegen, um dort noch andere Touristen mit nach Ciudad Bolivar zu nehmen. Auf dem Flug dahin dreht Alfonso drei Extrarunden über den Salto Angel. In Canaima können wir unser Glück kaum fassen. Die beiden neuen Fluggäste haben einen Überflug über den Ayan Tepui gebucht. So fliegen wir innerhalb von einer Stunde zweimal zum "Angel fall" ohne dafür auch nur einen Cent bezahlt zu haben. Da stört es uns auch nicht mehr, als plötzlich während des Fluges das Seitenfenster aufgeht und uns im Flieger die Haare zu Berge stehen...

 

Unser besonderer Dank gilt:
Jose Pinzon, Kamarata
Andreas Hauer, Santa Elena
Kapitän Alfonso, Ciudad Boilivar (Hangar 74)

LEBENSMITTEL

  • 1 Stange Zigaretten
  • 1Kg Haferflocken
  • 1Kg Zucker
  • 300g Kaffee
  • 1Kg Tunfisch
  • 800g Frühstücksfleisch
  • 50 Teebeutel
  • 2 Liter Speiseöl
  • 500g Honig
  • 1Kg Sardinnen
  • 600g Wiener
  • 1Kg Tomatenmark
  • 3Kg Reis
  • 4kg Mehl
  • 2Kg Salz
  • 3Kg Nudeln
  • 40 Stück Brühwürfel
  • 12 Tütensuppen
  • 30 Tüten Geschmackspulver (für Trinkwasser)
  • 800g Gewürze
  • 14 Zwiebeln
  • 7 Knoblauchzehen
  • 12 Hörnchen
  • 1Kg Mortadella
  • 1,5Kg Schokolade
  • 400g Leberwurst